Friedrich von Schiller

Die Ideale

(1795)

So willst du treulos von mir scheiden
Mit deinen holden Phantasien,
Mit deinen Schmerzen, deinen Freuden,
Mit allen unerbittlich fliehn?
Kann nichts dich, Fliehende, verweilen,
O meines Lebens goldne Zeit?
Vergebens! deine Wellen eilen
Hinab ins Meer der Ewigkeit.

Erloschen sind die heitern Sonnen,
Die meiner Jugend Pfad erhellt;
Die Ideale sind zerronnen,
Die einst das trunkne Herz geschwellt;
Er ist dahin, der sŸ§e Glaube
An Wesen, die mein Traum gebar,
Der rauhen Wirklichkeit zum Raube,
Was einst so schšn, so gšttlich war.

Wie einst mit flehendem Verlangen
Pygmalion den Stein umschlo§,
Bis in des Marmors kalten Wangen
Empfindung glŸhend sich ergo§,
So schlang ich mich mit Liebesarmen
Um die Natur, mit Jugendlust,
Bis sie zu athmen, zu erwarmen
Begann an meiner Dichterbrust,

Und, theilend meine Flammentriebe,
Die Stumme eine Sprache fand,
Mir wiedergab den Ku§ der Liebe
Und meines Herzens Klang verstand;
Da lebte mir der Baum, die Rose,
Mir sang der Quellen Silberfall,
Es fŸhlte selbst das Seelenlose
Von meines Lebens Wiederhall.

Es dehnte mit allmŠcht'gem Streben
Die enge Brust ein kreisend All,
Herauszutreten in das Leben,
In That und Wort, in Bild und Schall.
Wie gro§ war diese Welt gestaltet,
So lang die Knospe sie noch barg;
Wie wenig, ach! hat sich entfaltet,
Dies Wenige, wie klein und karg!

Wie sprang, von kŸhnem Muth beflŸgelt,
BeglŸckt in seines Traumes Wahn,
Von keiner Sorge noch gezŸgelt,
Der JŸngling in des Lebens Bahn.
Bis an des Aethers bleichste Sterne
Erhob ihn der EntwŸrfe Flug;
Nichts war so hoch und nichts so ferne,
Wohin ihr FlŸgel ihn nicht trug.

Wie leicht war er dahin getragen,
Was war dem GlŸcklichen zu schwer!
Wie tanzte vor des Lebens Wagen
Die luftige Begleitung her!
Die Liebe mit dem sŸ§en Lohne,
Das GlŸck mit seinem goldnen Kranz,
Der Ruhm mit seiner Sternenkrone,
Die Wahrheit in der Sonne Glanz!

Doch, ach! schon auf des Weges Mitte
Verloren die Begleiter sich,
Sie wandten treulos ihre Schritte,
Und einer nach dem andern wich.
LeichtfŸ§ig war das GlŸck entflogen,
Des Wissens Durst blieb ungestillt,
Des Zweifels finstre Wetter zogen
Sich um der Wahrheit Sonnenbild.

Ich sah des Ruhmes heil'ge KrŠnze
Auf der gemeinen Stirn' entweiht.
Ach, allzuschnell, nach kurzem Lenze,
Entfloh die schšne Liebeszeit!
Und immer stiller ward's und immer
Verla§ner auf dem rauhen Steg;
Kaum warf noch einen bleichen Schimmer
Die Hoffnung auf den finstern Weg.

Von all dem rauschenden Geleite
Wer harrte liebend bei mir aus?
Wer steht mir tršstend noch zur Seite
Und folgt mir bis zum finstern Haus?
Du, die du alle Wunden heilest,
Der Freundschaft leise, zarte Hand,
Des Lebens BŸrden liebend theilest,
Du, die ich frŸhe sucht' und fand.

Und du, die gern sich mir ihr gattet,
Wie sie der Seele Sturm beschwšrt,
BeschŠftigung, die nie ermattet,
Die langsam schafft, doch nie zerstšrt,
Die zu dem Bau der Ewigkeiten Zwar Sandkorn nur fŸr Sandkorn reicht,
Doch von der gro§en Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht.